Tracing: Berliner Kongresshalle (1957) (German)

In der Kongresshalle sollten nicht nur internationale Tagungen stattfinden, es sollten außerdem Sitzungen des damaliges westdeutschen Bundestags »als Bekenntnis zur Präsenz des Bundes in der bedrängten Halbstadt West-Berlin« (Lorenz et al. 2020, 194) möglich sein. Auch das Brandenburger Tor war nicht weit entfernt, damals ein Symbol nationaler Einheitswünsche in Deutschland (vgl. Bernau 2019, 61). Schloss Bellevue, der Sitz des Bundespräsidenten, liegt ebenso in nächster Nähe. Vor 1933 befand sich hier das von Magnus Hirschfeld gegründete Institut für Sexualwissenschaft, das von den Nazis zerstört wurde und an das im heutigen HKW der Name einer Barfläche erinnert.

Das Bauprojekt Berliner Kongresshalle war der amerikanische Beitrag zur Internationalen Bauausstellung Interbau im Jahr 1957, in deren Kontext außerdem im nahegelegenen Hansaviertel mit Entwürfen prominenter Architekten der Moderne ein neues Wohngebiet als Symbol westlicher Baukunst entstand.

Die Grundsteinlegung für den ambitionierten Neubau der Kongresshalle erfolgte im Oktober 1956. Auf dem Gelände wurde ein künstlicher Hügel aufgeschüttet, denn der symbolträchtige Neubau sollte als »Leuchtturm der Freiheit« auch im Osten sichtbar sein. Die Hauptnutzungsflächen platzierte der Architekt im Unterbau, der aufgrund der neuen Hügellage ebenerdig erschlossen wurde. Damals zählten zum Raumprogramm Tagungsräume, Kongressbüros, Restaurants, ein Club und eine Sparkasse (vgl. Lorenz et al. 2020, 194). Auf dem darüberliegenden Geschoss thront das Auditorium mit Platz für rund 1200 Gäste. Gekrönt wurde das Gebäude von dem Dach als Markenzeichen, mit seinen gewaltigen, einander zugeneigten Ebenen mit Rundbögen, die auch an überdimensionierte Flügel erinnern. Mit dieser Form sollte es laut Stubbins als Symbol für den innerhalb des Gebäudes stattfindenden grenzenlosen Austauschs fungieren und zeigen, »dass hier der Freiheit der geistigen Arbeit keine Schranken gesetzt sind.« (HKW Website) Finanziert wurde der Bau von der eigens dafür ins Leben gerufenen, deutsch-US-amerikanischen Benjamin-Franklin-Stiftung, deren Vorsitzende – Eleonor Dulles – die Schwester des damaligen amerikanischen Außenministers war. Der Namenspatron wurde dem Gebäude mit einem Zitat auch eingeschrieben, das bis heute noch von US-amerikanischen Ideen von »Freiheit« zeugt.

Die Konstruktion war statisch waghalsig und Gegenstand vieler Debatten. Nach dem Vorbild der State Fair Arena in Raleigh, North Carolina war auch das Dach der Kongresshalle als freitragendes Hängedach konzipiert, das hier jedoch nur an zwei Punkten abgestützt werden sollte. Aufgrund der Spannweite schien dies statisch unmöglich. Viele blieben skeptisch, obwohl eine versteckte Unterteilung des Daches in verschiedene Bereiche mithilfe eines Ringankers die Konstruktion möglich machen sollte. Der für seine filigranen Tragstrukturentwürfe bekannte Architekt Frei Otto urteilte während der Bauphase 1956: »Noch nie hat es ein hängendes Dach mit einer solch teuren und umständlichen Konstruktion gegeben.« (Lorenz et al. 2020, 196) Das Gebäude galt vielen Zeitgenoss*innen als »typisch amerikanische Show-Architektur.« (Bernau 2019, 61) Dieses ästhetische Urteil spiegelte teils sehr ›deutsche‹ Vor- und Werturteile wider, wie beispielsweise die des Ideals des ›reinen‹ Bauens oder die Angst des Bürgertums vor einer Architektur, die alle sozialen Klassen zu ihrer Öffentlichkeit erklärt (vgl. Bernau 2019, 61).

1980 bestätigten sich auf tragische Weise die baustatischen Zweifel, zumindest hinsichtlich der Konstruktion: Ein Teil des Daches stürzte plötzlich ein, ein Mensch kam dabei ums Leben. Die Ursache waren »korrosionsbedingte Brüche der Spannglieder in der äußeren Dachfläche« (Lorenz et al. 2020, 196). Trotz der Fehlkonstruktion war sich die Berliner Öffentlichkeit nun einig: das Gebäude musste wieder aufgebaut werden – die »schwangere Auster« war ein fester Bestandteil der Stadtlandschaft geworden. Mit dem Neubau zweier voneinander entkoppelter Dachkonstruktionen wurde die Kongresshalle wieder aufgebaut und 1987 eingeweiht. Das Dach wurde nun als reines Symbol konstruiert, da es nach dem Wiederaufbau nur noch rein repräsentative Zwecke erfüllte, denn ein neues, darunterliegendes Dach schloss nun das Auditorium ab. Eine neue Bau- und Schattenfuge unterstreicht diese symbolische Bekrönung des Hauses. Zwei Jahre später wurde das Gebäude zum Sitz des neu gegründeten Haus der Kulturen der Welt.

Bis heute gilt laut Nikolaus Bernau: »Jeder Umgang mit diesem Haus muss diese zum Mythos geronnene Geschichte mit in Rechnung stellen, kommt nicht darum herum, sich Gedanken zu machen, was denn freie Rede in der Architektur heißen kann, welche Bedeutung das Pathos des Kalten Krieges bis heute noch hat.« (Bernau 2019, 61)

Die konstruktive Baugeschichte der Berliner Kongresshalle macht »die immanente Hybris hochmodernen Konstruktionsdenkens, aber ebenso [...] die Kraft der reinen Form des schließlich doch realisierten Hängedachs« deutlich (Lorenz et al. 2020, 197). Diese Symbolkraft des Daches versinnbildlichte zugleich das Versprechen eines »freien Gedankenaustauschs« – dessen Anspruch sich mit der Zeit über die US-amerikanischen Vorstellungen von Kulturdiplomatie und den westlichen Zentrismus auf einen transkulturellen Austausch und eine Institution der Kulturen der Welt ausgeweitet hat.

Bibliography

Bernau, Nikolaus (2019): »Diskrete Arbeit am Mythos: Instandsetzung Haus der Kulturen der Welt in Berlin«, in: Meyhöfer, Dirk/Ulrich Schwarz (Hrsg.): Architektur in Hamburg – Jahrbuch 2019/2020, Hamburg: Junius Verlag, S. 60–65.

Haus der Kulturen der Welt: Die Architektur, last accessed September 19, 2024.

Lorenz, Werner/May, Roland/Staroste, Hubert; Prokop, Ines (2020): »Haus der Kulturen der Welt: Ehrlich währt am längsten«, in: Ingenieurbauführer Berlin 2020, Petersberg: Michael Imhof Verlag, S. 194–197.