Tracing: Amerika Haus (1957) (German)

Hier gibt es kostenfreie, nachgefragte Bildungsangebote – und zugleich politische Propaganda. Ähnlich widersprüchlich bleibt die Baugeschichte des Berliner Amerika Hauses: Das Gebäude der Nachkriegsmoderne als Symbol eines demokratischen Neuanfangs wurde nach anfänglich vom amerikanischen Büro SOM vorgelegten Plänen letztlich von Berlins damaligem Senatsbaudirektor Bruno Grimmek geplant, der ein paar Jahre zuvor noch unter Albert Speer Verwaltungsgebäude für die Nazi-Reichshauptstadt Berlin entworfen hatte. Der »demokratische Neuanfang« wurde hier, wie an so vielen anderen Orten und Institutionen der westdeutschen Bundesrepublik, von etablierten Fachleuten der Nazi-Zeit geplant und umgesetzt.

Statt brachialer, steinerner Monumentalität der Nazi-Architekturen dominieren nun Glas und die Farbe Weiß. Die »demokratische Utopie« zeigt sich mit einer großzügigen Glasfassade im Erdgeschoss, die Offenheit und Transparenz vermitteln soll – und zugleich ein Schaufenster in das Innenleben des Gebäudes ist und damit als Propagandainstrument fungiert: Schaut her, hier, in der »westlichen Demokratie« kann man lesen, reden, ins Kino gehen, Veranstaltungen besuchen – kurz: sich weiterbilden und austauschen.

Die Freihandbibliothek im Erdgeschoss ist damals ein Novum in Deutschland (Schöttler 2010, 324). Die Fenster lassen sich in dieser Anfangszeit straßenseitig vollständig öffnen und drücken damit auch das Vertrauen der US-amerikanischen Verwaltung in die Bibliotheksbesucherinnen aus (Schöttler 2010, 325). Diese kommen auch aufgrund der seit der Teilung der Stadt zentralen Lage zahlreich, und das nicht nur aus dem Westsektor der Stadt: Etwa ein Drittel reist aus dem Ostsektor an (1960: 1.800.000 Besucherinnen, davon 700.000 aus dem Ostsektor; vgl. Hooper 2014, 281). Denn hinter der großen, transparent und offen ausgelegten Bibliothek liegt im Erdgeschoss auch die sogenannte »Ostbibliothek«. Hier können Besucherinnen aus Ostberlin, vor Blicken geschützt, »von etwaigen Spitzeln zumindest von der Straße aus nicht beobachtet werden« (Schöttler 2010, 320). Dieses Angebot wird bis zur Teilung der Stadt stark nachgefragt – die Strategie der Amerikaner geht auf: So ging die Besatzungsmacht nach 1953 nicht mehr davon aus, dass die Westberlinerinnen noch von der Demokratie à la USA überzeugt werden müssten: Es geht darum, Kontakt mit der Bevölkerung Ost-Berlins und der sowjetischen Zone herzustellen (vgl. Hooper 2014, 276). Die Propaganda-Absicht in Zeiten des Kalten Krieges wird dabei in den USA offen kommuniziert, so schreibt die Denver Post 1960: this »modern, big-windowed building is probably the world’s best located propaganda center« (vgl. Hooper 2014, 281). Der große, den Eingang überkragende Gebäudekubus markiert dies unübersehbar: Gleich einem Schmuckelement ziert ihn ein auffälliges Mosaik – eine stilisierte Variante der US-Flagge. Zusammen mit dem unübersehbaren, hinterleuchteten Schriftzug »AMERIKA HAUS« und der auf dem Flaggenmast gehissten Fahne sind die USA unübersehbar.

Doch die demokratische Utopie, das Versprechen des Gebäudes, hält dem Konflikt auf Dauer nicht stand. Die Proteste der späten 1960er-Jahre gegen die US-amerikanische Außenpolitik, den Krieg, der bewaffneten »Intervention« in Vietnam, entladen sich auch am Amerika Haus als »symbolischer Repräsentanz« (Hiller von Gaertringen 2015, 199) der USA. Das zunächst offen zugängliche Haus wird nun von Security bewacht (vgl. Hiller von Gaertringen/Proll 2015, 123), den filigran ausgeführten Fensterrahmen wird 1973 eine zweite Schicht Sicherheitsglas vorgesetzt (vgl. Schöttler 2010, 329). Die Offenheit des Erdgeschosses ist Vergangenheit. Dies scheint der Anfang vom Ende der mithilfe von »soft power« errichteten Utopie des Berliner Amerika Hauses zu sein. Nach dem Fall der Mauer und dem Ende des Kalten Krieges geben einge ehemaligen Nutzer*innen aus Ost-Berlin ihre 1961 ausgeliehenen Bücher zurück – ein symbolischer Akt der Dankbarkeit und eine Markierung, die zeigt, dass die US-amerikanische Kultur- und Bildungsinstitution obsolet geworden ist. Stattdessen wird das Prinzip der Abschottung zum neuen baulichen Leitmotiv: Die Fenster und Außentüren werden »mit innerbaulich angebrachten Sicherheitsrollgittern versehen, die ein weiterer und sowohl in funktionaler als optischer Hinsicht drastischer Schritt auf dem Wege der Umkehrung bauzeitlicher Prinzipien sind. Offenheit wird nun nicht mehr gewagt, vielmehr ist die ängstliche Abschottung das Gebot der Stunde.« (Schöttler 2010, 329). Anstelle einer offenen Einladung an alle wird ein Zaun errichtet, auch, um sich von dem Drogenhotspot Bahnhof Zoo abzugrenzen.

Die Institution scheint aus der Zeit und aus dem Raum gefallen zu sein. – Was zeugt heute noch von diesen Spuren? 

Bibliographie:

  • Schöttler, Sonja (2010): »Das AMERIKA HAUS in Berlin«, in: Ulrich Stevens/Ulrike Heckner (Hrsg.): DENKMAL-KULTUR IM RHEINLAND, Worms: Wernersche Verlagsgesellschaft mbH, S. 317–333.

  • Hooper, Kathleen R. (2014): Designing Democracy: Re-education and the America Houses (1945-1961): The American Information Centers and their Involvement in Democratic Re-education in Western Germany and West Berlin from 1945 to 1961, Frankfurt am Main: Peter Lang.

  • von Gaertringen, Hiller/Georg, Hans (2015): Pop, Politik und Propaganda: Das Amerika Haus Berlin im Wandel der Zeit, Ostfildern: Hatje Cantz Verlag

  • von Gaertringen, Hiller/Georg, Hans/Proll, Astrid: »Die amerikanische Prägung der 68er, die Studentenproteste und ein Brandsatz im Amerika Haus«, in: Hiller von Gaertringen/Hans Georg: Pop, Politik und Propaganda: Das Amerika Haus Berlin im Wandel der Zeit, Ostfildern: Hatje Cantz Verlag, S. 123–125.