Tracing: Amerika-Gedenkbibliothek (1954) (German)

Nach dem Ende der Berlin-Blockade wollten die Amerikaner ein Denkmal für die Luftbrücke und die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen West-Berlin und den Vereinigten Staaten errichten. West-Berlins Bürgermeister Ernst Reuter schlug vor, dass dieses Denkmal eine Bibliothek sein könnte (vgl. Breitenbach 1954, 281), denn eine große Herausforderung für West-Berlin war der »Verlust« von Büchern an den Osten nach der Teilung der Stadt (die Humboldt-Universität, die Berliner Stadtbibliothek und die Berliner Staatsbibliothek lagen alle im Osten). Daher wurde in Dahlem eine provisorische Bibliothek eingerichtet. McCloy und die amerikanische Regierung stellten im Rahmen des Marshall-Plans 4,4 Millionen DM für das Gebäude und die Anschaffung von Büchern zur Verfügung. Ursprünglich hatte Reuter die neue Bibliothek als wissenschaftliche Bibliothek für die neu gegründete Freie Universität (FU) in Dahlem konzipiert, wollte sie aber in Kreuzberg errichten. Der Bezirk war im Krieg nicht nur schwer beschädigt worden, sondern lag auch sehr zentral: Im Hinblick auf eine mögliche spätere Wiedervereinigung der Stadt sollte die neue Bibliothek als zentraler Treffpunkt dienen. Im geteilten Berlin lag Kreuzberg nahe an der Grenze, sodass dieser Standort dem Osten die »Erfolge des Westens« zeigen konnte – schließlich war es der Beginn des Kalten Krieges. Die FU war allerdings unglücklich über diesen aus Dahlemer Sicht abgelegenen Standort. Als sich die Ford-Stiftung bereit erklärte, den Neubau eines Hörsaals und einer Bibliothek für die FU – den späteren Henry-Ford-Bau – zu finanzieren, konnte die neue Bibliothek in Kreuzberg nicht als wissenschaftliche, sondern als wirklich öffentliche Bibliothek konzipiert werden.

Die Wahl des Standortes war also symbolisch, denn das Gebäude sollte »als ein weithin sichtbares Denkmal des sich frei entfaltenden Geistes in unmittelbarer Nähe des Ostsektors« dienen und dabei den »Glauben an die früher oder später erfolgende Wiedervereinigung« (Moser 1954) bezeugen. Tatsächlich konnte man vom obersten Stockwerk, das nicht öffentlich zugänglich war, die Grenze sehen: Der »Checkpoint Charlie« unterbrach die belebte Friedrichstraße, an deren Ende die Bibliothek als einladende Geste einer sich öffnenden Hand konzipiert war.

Im 18. Jahrhundert hatte das Anwesen als Garten mit »exotischen Pflanzen und fremden Tieren« gedient und wurde »Neu-Amerika« genannt. Auch nachdem der Garten im 19. Jahrhundert verschwunden war, blieb der Name »Neu-Amerika« auf alten Karten als »spiritus loci« erhalten – koloniale Vorstellungen der Amerikas hatten sich in den Ort eingeschrieben.

Flexibilität in Raum und Zeit war das wichtigste architektonische Konzept. Amerikaner als Geldgeber und Berliner als Bauherren waren sich über den öffentlichen Charakter des Gebäudes einig. Das Gebäude sollte nicht nur für jedermann frei zugänglich sein, sondern auch den zukünftigen »Wandlungen der sozialen Struktur, der Bildung und des Bildungsbegriffs und der Stellung und Bedeutung des wissenschaftlichen Lebens in der Gegenwart Rechnung tragen« (Moser 1954).

Aus einem Ideenwettbewerb mit 194 Architekten aus West-Berlin und Westdeutschland ging kein Siegerentwurf hervor, da alle Entwürfe entscheidende Aspekte unberücksichtigt ließen. Es handelte sich um das größte öffentliche Bibliotheksbauprojekt in West-Deutschland zu dieser Zeit, und es mangelte an Erfahrung mit der Planung eines solchen Großprojekts. Zwei US-amerikanische Architekten sollten eine Gruppe von vier deutschen Architekten unterstützen: Gerhardt Jobst, Willi Kreter, Hartmut Wille und Fritz Bornemann wurden von Francis Kelly (der mit anderen die große öffentliche Bibliothek in Brooklyn gebaut hatte) und dem stellvertretenden Direktor der öffentlichen Bibliothek in Detroit, Charles M. Mohrhardt, unterstützt (vgl. Moser 1954). Die neue Bibliothek wurde von der Library of Congress in Washington gesponsert, die Edgar Breitenbach sowie weitere Mitarbeitende zur Beratung entsandte, um beim Aufbau der neuen Bibliothek zu helfen. Später wurden deutsche Mitarbeiter*innen der neuen Bibliothek zu Studienzwecken in die USA entsandt (vgl. Moser 1954). Dieser geförderte Wissensaustausch hinterließ auch in der Sammlung der Bibliothek seine Spuren: Die Library of Congress war der erste Spender für die Sammlung der neuen Amerika-Gedenkbibliothek.

Hauptziel der räumlichen Gestaltung war es, »eine Raumanordnung zu treffen, die dem Publikum den Zutritt so bequem und übersichtlich wie möglich macht und der bibliothekstechnischen Organisation durch sparsamste Verwendung tragender Wände und Stützen eine große Freizügigkeit in der Benutzung« (Moser 1954) ermöglicht. Die Grundsteinlegung fand am 29. Juni 1952 statt. Die neue Bibliothek sollte nicht nur ein Symbol der »überlegenen westlichen Demokratie«, sondern auch der »Freundschaft zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Volk« sein, wie der damalige US-Außenminister erklärte. Fritz Moser, der erste Direktor der Bibliothek, proklamierte, die Institution wolle »das ihre beitragen, eine Brücke der Verständigung von Mensch zu Mensch und Volk zu Volk zu schlagen« (Moser 1954).

Während der Bauphase des Gebäudes mussten Bücher erworben und ein Klassifizierungssystem entwickelt werden. Die Anschaffungen erfolgten unter dem Blickwinkel des »Gebrauchswerts« und nicht dem der »optimalen Vollständigkeit«: Diese öffentliche Bibliothek sollte ihren Benutzenden im täglichen Leben dienen und nicht in erster Linie Sammlerwert haben. So war die Besonderheit der neuen Bibliothek die Freihandausleihe (siehe Amerika Haus), die nicht nur Belletristik, sondern auch wissenschaftliche Bücher umfasste. Sowohl dieses offene Ausleihsystem als auch die Kombination von Sachbüchern und Belletristik waren für eine öffentliche Bibliothek in Deutschland neuartig (vgl. Breitenbach 1954, 283).

Das große Bücherdepot ermöglichte eine noch größere Vielfalt an verfügbaren Büchern. Die Lage dieses Magazins im Untergeschoss begünstigte eine schnelle Lieferung der gewünschten Bücher in den Lesesaal. Von Anfang an war es wichtig, dass diese Bibliothek nicht nur Medien sammelt und bereitstellt, sondern auch Raum und Gelegenheit für den öffentlichen Diskurs und Austausch schafft, indem sie z. B. Vorträge im angeschlossenen Hörsaal organisiert.

Das Erdgeschoss war und ist für die Öffentlichkeit reserviert. Hier wurde das Thema der Zugänglichkeit und Flexibilität in den Raum eingeschrieben: Die Bücherregale befinden sich im Erdgeschoss und sind somit leicht zugänglich. Keine Treppe erzeugt Barrieren für den Zugang zum Bildungsangebot – dennoch befinden sich die Toiletten im Keller. Zusammen mit den Glastüren bilden die Bücherregale die einzige räumliche Unterteilung und schaffen unterschiedliche Zonen, ruhigere und aktivere Räume. Besuchende betreten das Gebäude von Norden her und finden sich durch die große Fensterfront in einer hellen (Tageslicht-)Eingangssituation wieder. Auf der rechten Seite ist ein großes Zitat von Thomas Jefferson in die Wand eingelassen, das an die hehren Ideale der Bibliotheksgründung erinnern soll. Auf der Rückseite öffnet sich das Gebäude nach Süden zum Garten. Der Lesesaal ist durch das leicht geneigte Dach gegliedert, das für einen besseren Lichteinfall nach Süden hin ansteigt und dank seiner Auskragung als baulicher Sonnenschutz dient.

Lager, Werkstätten und Verwaltung sind in dem sechs-geschossigen Gebäude im Herzen des Komplexes »versteckt«, dessen Gewicht nicht zu spüren ist, da man sich frei in den Erdgeschossräumen bewegen kann. Doch dient das hohe Gebäude mit seiner strengen Rasterfassade als Marker im städtischen Kontext und verortet die Bibliothek im Herzen von Kreuzberg.

Bibliography:

  • Moser, Fritz (1954): Amerika-Gedenkbibliothek, Berliner Zentralbibliothek: zur Eröffnung am 17. September 1954, Berlin.

  • Moser, Fritz (1955): »Die Berliner Gedenkbibliothek«, in: Bauwelt 8, S. 141-149.

  • Breitenbach, Egar (1954): »The American Memorial Library in Berlin, Its Aims and Organization«, in: Libri 4/4, S. 281–292.