Von der Demonstration zur Simulation und zurück: »Demonstration mit Geld« (German)

Im Mittelpunkt der Simulation stehen die unter den Teilnehmenden verteilten Banknoten (jede:r Teilnehmer:in erhält einen 100-Euro-Schein, der vom privaten Konto der Künstler:innen abgehoben wurde) und eine Geste, die von Falczyk und Herschel während der gesamten Simulation wiederholt wird. Aus einem Megafon, das Falczyk durch den Raum bewegt, ertönt eine Stimme, die die Teilnehmenden durch einen fiktiven Protest führt, der in einer gemeinsamen Choreografie seinen Höhepunkt findet.

Im anschließenden von Boyce und Pieper moderierten Publikumsgespräch erläuterten Falczyk und Herschel Hintergründe des Arbeitsprozesses der Performance »Demonstration mit Geld«. Sie kamen ursprünglich auf die Idee zu »Demonstration mit Geld«, als sie 2022 an einer Demonstration für die Umverteilung von Vermögen teilnahmen. Während der Demonstration kam ihnen der Gedanke, einen 100-Euro-Schein aus ihren Taschen zu nehmen und ihn in die Luft zu halten, wo er für die anderen Demonstrierenden und Zuschauende sichtbar war. Was würde es bedeuten, das Geld sichtbar zu machen? Wie könnte diese Handlung die Demonstration verändern? Könnte die Demonstration dadurch wirksamer werden? Diese zentrale Geste greift auf die Choreografie der erhobenen rechten Faust zurück, eine symbolische und allgegenwärtige Geste, Bewegung und Bild, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts in politischen Bewegungen auftaucht. 

Gemeinsam mit anderen Performern wiederholten Falczyk und Herschel die Aktion bei einer Demonstration am 1. Mai des folgenden Jahres. Die ursprüngliche Performance und ihre Wiederholung, »Demonstration mit Geld (Intervention)«, festigten die Praxis als eine mit performativer und politischer Kraft. Bald darauf wanderte diese Intervention von der Straße ins Theater. Deepfake Situations entwarf und erstellte eine Simulation für Teilnehmende, die erstmals im Ballhaus Ost in Berlin aufgeführt wurde. Die Transformation von der Intervention zur Simulation entfaltete neue Schichten in der Aktion. Bei der Geste ging es nicht mehr nur darum, Kapital sichtbar zu machen, sondern neue Potenziale und Verwendungszwecke für das Geld zu finden. Deepfake Situations stellte fest, dass die Zweckentfremdung, eine seit langem praktizierte Taktik im Repertoire des Live-Theaters und der Performance, auch ein politisches Versprechen hatte: Durch die Techniken des Theaters könnte Geld transformiert werden, von einem Objekt, das Kapitalmacht innehat, zu einer versammlungsbildenden Kraft.

 Der Name des Kollektivs thematisiert zeitgenössische Phänomene von Deepfakes, d.h. Videos und Bilder, die von generativen KIs erstellt werden und ihre Fälschung verschleiern. Deepfake Situations ist jedoch nicht daran interessiert, undurchsichtige Imitationen hervorzubringen, sondern solche Methoden der Zweckentfremdung (von Objekten, Situationen, Klängen und Sprachen von Gesten), körperliches Training, geführte Simulationen, Interventionen und pre-enactments zu nutzen, um dem Publikum bestimmte gegenwärtige Zustände zu offenbaren und gemeinsam mit ihm alternative Zukunftsszenarien zu präfigurieren. In den Arbeiten von Deepfake Situations begegnen sich ›Reales‹ und ›Fake‹ auf überraschende Weise: Eine Simulation einer Demonstration verwendet eintauschbares Geld, dessen Verlust oder, was noch unwahrscheinlicher ist, dessen Diebstahl, reale wirtschaftliche Auswirkungen für das Kollektiv haben könnte. Durch die Vielfalt der Performance-Ansätze in unterschiedlicher Distanz zum ›Realen‹ untersucht und testet Deepfake Situations die Fähigkeit des Theaters, kollektiv neue Zukünfte zu gestalten.