Dieser Beitrag ist im Rahmen des Blockseminars Denkmäler neu denken: Ideologie, Narrative und künstlerische Interventionen entstanden. Er befasst sich mit dem Schwerbelastungskörper, einem Betonzylinder aus der Nazi-Zeit in Berlin, der ursprünglich mit Zwangsarbeitern gebaut wurde, um die Tragfähigkeit des Bodens für Hitlers und Speers architektonische Pläne zu testen, und der ein ungenutztes und belastendes Relikt bleibt. Der Vorschlag sieht vor, ihn in einen Taubenschlag und eine Obdachlosenunterkunft umzuwandeln, wobei sowohl die Bewirtschaftung der städtischen Tierwelt als auch die soziale Betreuung im Vordergrund stehen. Durch die Neugestaltung der Fassade – um ihre bedrückende Ästhetik zu verändern – und die Umnutzung des Innenraums, um Obdachlosen Schutz, Wärme und Nahrung zu bieten, soll das Projekt den Standort für humane und praktische Zwecke zurückgewinnen. Diese Initiative würde ein gesellschaftliches Engagement zur Unterstützung von Randgruppen symbolisieren, anstatt das Gebäude als passives Mahnmal einer unterdrückerischen Geschichte zu erhalten.
Text und Konzept von Oskar van Bezouwen
»Friede dem Wellblech, Krieg den Palästen!« – Trettmann (1)
Inspiriert wird das Konzept von dem Zusammenspiel der abstrusen Funktionalität eines Bauwerks und der Eigenart der deutschen Sprache, die sich in dem Kompositum Schwerbelastungskörper derart entlädt, dass sie geradezu danach schreit, interpretatorisch umgedeutet zu werden. Der infrage stehende Betonzylinder sollte die Stadt Berlin beziehungsweise ihren Boden wortwörtlich schwer belasten – und zwar so schwer, bis sie entweder nachgeben oder den Größenwahn-Un-sinn Albert Speers und Adolf Hitlers genügen sollte. Dabei ist der Körper nicht nur reine NS-Symbolik; er wurde errichtet durch die Zwangsarbeit französischer Kriegsgefangener, die nicht als Menschen, sondern als Ressource dienten, um der selbsternannten ›Herrenrasse‹ ihr größtes Denkmal zu bauen. (2) Nun – mehr als 80 Jahre später – lastet der Körper ganz grundlos immer noch auf Berlin. Seine Aufarbeitung begrenzt sich auf einige Schilder und einen Aussichtsturm. In dieser Funktionslosigkeit erinnert seine Ästhetik zu allem Überfluss noch an den plumpen Stil der Weltkriegsbunker und strahlt somit seine militante Trostlosigkeit auf Schöneberg und die vorbeirauschenden S-Bahn-Gäste aus, die im täglichen Pendelverkehr eine nie aufgehobene Last auf Berlin liegen sehen. Soll der gefühlsgraue Alltag nicht schon genug Belastung für Berlins Einwohnende bedeuten? Warum sollten wir nach all der Zeit nicht wagen, für etwas Entlastung zu sorgen?
Ein Vorschlag: Ähnlich wie der Körper durch sein Gewicht, so lasten auch menschliche und soziale Notstände schwer auf unserer Stadt: Armut, Krankheit, Verschmutzung, asoziale Politik. Diese modernen Großstadtgeschwüre entladen sich oft an den schwächsten BewohnerInnen der Metropole und stigmatisieren diese zu geächteten Sonderfällen, denen ihr Schicksal selbst verschuldet zuteil geworden sei. Die damit vorgeschoben geleistete Verdrängung mag zwar helfen, so manches Gewissen täuschend zu entlasten, schafft aber keine faktische Abhilfe für die enorme Belastung, die diese Körper und mit ihnen ganz Berlin auszuhalten haben.
Warum aber sollen diese zwei Negative, die wir als Stadt nunmehr seit 80 Jahren vernachlässigen, miteinander vereint nicht eine Fusion eingehen können, aus der ein positiver Ertrag für alle Beteiligten hervorgeht?
Geben wir dem Schwerbelastungskörper Flügel, die seine nationalsozialistische Altlast endlich von unserer Stadt nimmt. Geben wir den verstoßenen Opfern des outputorientierten Gentrifizierungshotspots Berlin einen Rückzugsort, der versucht, ihnen einen Teil der gesellschaftlich induzierten Last abzunehmen.
Der Schwerbelastungskörper als Taubenschlag und Notunterkunft für Obdachlose
Seine erste Neumodellierung erhält der ernste Betonzylinder durch eine ästhetische Überarbeitung: Durch eine auflockernd-humoristische Neugestaltung der Außenfassade im Stil einer Taube soll eine Außenwirkung geschaffen werden, die den Nutzenden wie auch neugierigen PassantInnen die pragmatische Ernsthaftigkeit der ursprünglichen Baumotivation vergessen lässt. Im klaren Gegensatz soll die verspielte Verkleidung mitsamt ihrer offensichtlichen Inspiration Aufmerksamkeit für die nun soziale Nutzung des Gebäudes und die verantwortlichen Umstände generieren. Zudem birgt auch diese Kunst, stilvoll versteckt, einen gewissen Pragmatismus: Im hohlen Inneren der Aufbauten finden Tauben aus Tempelhof und Schöneberg, besonders aus dem Einzugsbereich der Ringbahn, ein neues und artgerechtes Zuhause. Eine Entlastung für die geflügelten Stadtbewohner sei damit geschaffen, eine artgerechte Unterbringung fernab der Gleise und Stacheln. Die Organisation, Instandhaltung und Pflege wird einem lokalen Projekt (bspw. »Graue Flügel« (3)) übertragen.
Dem Taubenhort kommt somit der symbolische Schritt der ideologischen Abkehr zu, indem er die erste, nämlich visuelle Auseinandersetzung mit dem Schwerentlastungskörper provoziert. Dessen Herz jedoch, unter dem Zeichen der Entmenschlichung geschaffen, soll der Zwischenmenschlichkeit vorbehalten sein. In den alten Laboratorien des Gebäudes, die über eine Aushöhlung des momentan weitestgehend ausgefüllten Betonkörpers auszubauen wären, entstehen Räumlichkeiten in der Dimension eines durchschnittlichen Mehrfamilienhauses. Versorgt mit Wasser, Rückzugsräumen und Heizungen finden in (kalten) Nächten Obhutsuchende einen Schlafplatz, Sicherheit und etwas Warmes zu essen und zu trinken – ein Stück Entlastung für die zu selten gestützten Schultern obdachloser BerlinerInnen. Auch diese werden einer bestehenden Organisation wie der Caritas, optimalerweise sogar der Stadt selbst, übertragen.
Dort, wo der NS-Staat seine größten Prachtbauten errichten wollte, steht bisher kaum mahnend, sondern vorwiegend sein Umfeld ästhetisch wie ideologisch belastend, ein verkommenes Relikt des menschenverachtenden Unrechts, das die Deutschen bis vor 80 Jahren zelebrierten. Die Aneignung dieses Baus soll ein Vorschlag sein, eben das Versprechen einzulösen, das sich die deutsche Gesellschaft seitdem gegeben hat. Durch die Nutzbarmachung entsteht eine gesellschaftlich getragene Einrichtung, die denen einen Ort geben will, die unter dem NS-Regime als ›Asoziale‹ verfolgt worden wären. Heute mag ihr Leid, ihre Ausstoßung nicht mehr institutionell gefordert werden. Doch auch die liberale Demokratie hat nicht viel mehr als Marginalisierung und prekäre Verhältnisse für sie übrig, auch die ›humanistische‹ Gesellschaft steht ihnen mehrheitlich gleichgültig bis feindlich gegenüber.
Für Obdach an einem historischen Ort der Entrechtung zu sorgen, soll den unbedingten, pragmatischen Willen einer neuen Gesellschaft zeigen, vorhandene Bausubstanz in bester Lage menschlich zu nutzen, anstatt sie symbolisch aufgeladen einer stets kleinen Bürgerschicht zur humanistischen Selbstbeweihräucherung zu überlassen.
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Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Blockseminars Denkmäler neu denken: Ideologie, Narrative und künstlerische Interventionen, das im Wintersemester 2024/25 von Marla Heid in Zusammenhang mit dem SFB Intervenierende Künste an der Freien Universität Berlin durchgeführt wurde. Im Zentrum stand die Frage, wie künstlerische Praktiken kritisch auf bestehende Monumente reagieren und alternative Formen des Erinnerns im öffentlichen Raum vorschlagen können.
Die Beiträge sind eigenständige Interventionen, Recherchen und konzeptuelle Entwürfe. Sie spiegeln individuelle Auseinandersetzungen mit Erinnerungspolitiken, historischer Repräsentation und räumlichen Kontexten wider und zeigen die Vielfalt künstlerischer Strategien im Spannungsfeld von Denkmal, Öffentlichkeit und Gegenwart.
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